Mein 10. Springsteen-Konzert erlebte ich diesmal im Innenraum eines sichtbar nicht ausverkauften, aber dennoch mit guter Stimmung gefüllten Stadions.
Nach den vier flotten Songs (abgesehen vom eher langsameren “Adam”) zu Beginn war ich gespannt, wie der live sicher schwieriger zu vermittelnde “Outlaw Pete” ankommen würde. Und siehe da: Dank der Monument-Valley-Darstellung auf den exzellenten Full-HD-Screens kam tatsächlich Wild-West-Stimmung auf. Sogar die vier extrem besoffenen Typen vor mir sangen den ihnen offenbar bekannten Refrain mit.
Nach dem (von viel zu vielen nervigen deutschen Radiostationen mit “dem besten Mix aus 80ern, 90ern und den Hits von heute”) zu Tode gespielten Crowd-Pleaser “Hungry Heart” ging es mit den für viele unbekannten Stücken “Seeds” und “Johnny 99″, letzterer in der neuen Happy-Version, weiter.
Dann der erste richtige Hammer des Abends: “Factory”. Ein kleines und feines Lied, das Bruce 1978 zu seinem Papa einfiel. Selten bis nie gespielt, konnten sich Bruce-Fans hier richtig freuen.
Da ich den Song zuvor nicht live erleben durfte, hatte ich während des Wunschkonzerts im Mittelteil bei “I´m Going down” den meisten Spaß. Eine wunderbare Midtempo-Abgeh-Nummer mit einfachem Refrain für die Masse. Sehr schön.
Nach dem für mich persönlich zu oft gespielten “Ramrod” kündigte sich während des intensiven “Trapped” ein Höhepunkt des Abends an: “Because the Night”. Nach der ersten Zeile hörte ich eine junge Dame hinter mir rufen “Das kenn ich!” Und so ging es (wie schon 2008 in Hamburg) vielen Gelegenheits-Springsteen-Hörern im weiten Rund. Diesen Song, eher bekannt durch die vor Jahrzehnten in Vergessenheit geratene Patti Smith, nimmt das Publikum als einen echten Klassiker aus alten Zeiten wahr und geht dementsprechend mit.
Dann folgte der Fun-Doppeldecker “Waiting/Promised Land”, der uns allen ein Lächeln auf die Lippen zauberte wie es sonst nur der Biss in einen Schokoriegel vermag. Besonders zuckersüß waren dabei natürlich die zum Mitsingen aufgeforderten Kinder.
Danach geschah etwas, was ich persönlich noch bei keinem Springsteen-Konzert erlebte. Mit “Point Blank” zauberte der Boss eine ultra-rare Nummer aus dem Hut, die zwanzig Quadratmeter um mich herum aber niemanden interessierte. Die Besoffenen vor mir gingen Bier holen und die Dame hinter mir begann wie sämtliche Leute um mich herum zu quatschen. Noch erstaunlicher war, dass fast alle Zuschauer vor mir gar nicht mehr nach vorne schauten, sondern sich Zigaretten drehten, ihre Handys bedienten oder eben mit ihren Bekannten redeten. Das Gebrabbel war gegen Ende des Songs so laut, dass ich angesichts seiner Ruhe die Ohren spitzen musste, um Bruce noch deutlich verstehen zu können. Traurig aber wahr: “Point Blank” gehört nicht in ein Stadion sondern in ein Solo-Akustik-Set und war bezüglich Stimmung der Downer des Abends.
Das anschließende “Kingdom of Days” – das so klingt wie viele Songs auf dem Vorgängeralbum “Magic” – war zwar auch kein Volltreffer, riss die Leute aber aus ihrer Lethargie und bereitete sie auf das Triple Lonesome/Rising/BtR vor. Wurde zu “Lonesome” noch artig mitgeklatscht, entfachte “Rising” einen Enthusiasmus, der im Klassiker “BtR” zur Ekstase wurde. Das von der Bildregie gegen Ende eingeblendete “Thunder Road”-Schild eines Fans fand leider (!) keine Beachtung durch den Boss.
Der Zugaben-Sixpack begann mit dem ungewohnten “Hard Times” und dem 75er-Epos “Jungleland” eher schleppend, hinterließ mit dem rührseligen “Bobby” und der 80er-Pop-Hymne “Dancing” aber genau den Eindruck, den Bruce-Gigs hinterlassen sollten.
Online-Setlist-Leser wussten danach natürlich, dass noch ein sechster Song folgen würde. Nur welcher, war noch unklar. Bruce entdeckte ein Fan-Schild weit hinten im Innenraum und wies einen Kameramann an, es einzufangen: “Twist and Shout”.
Die altehrwürdige Nummer von Phil Medley und Bert Berns, zuvor bereits durch die Top Notes, The Isley Brothers und vor allem die Beatles zum Welthit gemacht, funktioniert auch 2009 als Abschlussfeuerwerk und motiviert vollkommen verschwitzte Menschen sogar nach drei Stunden Beine-in-den-Bauch-Stehen zu einem letzten wilden Tanz.
Fazit: Ein wunderbares Konzert einer in dieser Form einfach unschlagbaren E Street Band mit nur einem Ausfall (Point Blank), dafür aber reichlich guter Stimmung und etlichen Überraschungen.